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Kleine Geschichte des Hauses

 

Es gibt leider, wie bei vergleichbaren Anwesen üblich, keinerlei Pläne oder Schriften. Früher verschwendete man offensichtlich weniger Zeit mit Bürokratie und Bauanträgen. Dass man dennoch etwas von solider Bauweise verstand, kann man unschwer erkennen. Das Alter unseres Hauses lässt sich nicht genau rekonstruieren, aber es ist sehr, sehr alt. Wahrscheinlich war der Ursprung ein- oder zweistöckig, mit Gewölbekeller (heute ein Teil des Appartement 2). Reste ehemaliger Durchwurfschächte zeigen, dass im Untergeschoss Tiere gehalten wurden, für die das Futter auf dem Dachboden aufbewahrt wurde, und die Futtertröge auf solch bequeme Weise direkt gefüllt werden konnten.

Irgendwann wurde angebaut und aufgestockt, auch ein zusätzlicher Keller war nötig. Schließlich expandierte der Weinanbau der Familie, denn man opferte den bis dahin vor dem Haus befindlichen Garten für weitere Kellergewölbe zur wohltemperierten Weinlagerung. Dadurch stand nun die Akazie mitten im Keller. Man mauerte lediglich um den Stamm herum, der Vorläufer der heutigen Terrasse  war geschaffen. Aber auch der lebenswichtige Brunnen musste noch eine Etage zusätzlich erhalten. Praktischerweise konnte man von nun an sowohl im Keller als auch im Hof Wasser schöpfen. Dieser Brunnen war und ist um so wichtiger, weil er ganzjährig Wasser führt, im Sommer zwar weniger, aber im Gegensatz zu allen anderen Brunnen in der Nachbarschaft versiegte dieser nie. Aus der Tiefe des Berges können wir heute erfrischend kaltes Wasser für unseren Pool pumpen – ein Luxus, den man sich früher kaum vorstellen konnte. Wasser ist Leben, besonders in der Sommerhitze wird dies deutlich. Während in dem Teil der Provence auf der östlichen Seite der Rhône  große Trockenheit herrscht, kann sich die westliche Seite nicht beklagen, besonders das Tal der Cèze war schon immer berühmt für seine Fruchtbarkeit.

Für längere Zeit schien der Platz für die Familie und die Tiere zu reichen: das heutige Studio (4) Kaminzimmer war die Küche und somit Versammlungsraum, in dem gewaltigen Kamin (original erhalten) brannte von Herbst bis Frühjahr unentwegt Feuer. Die Familie war langsam zu Wohlstand gekommen, was die antiken Einbauschränke mit viel Schnitzwerk und die kunstvollen Fliesen auf dem “Potager“ (hier wurde auf der Glut, die man aus dem Kamin nahm, die “Potage“ [=Gemüsesuppe] gekocht), zeigen. Später baute man sogar einen Marmorkamin in das Schlafzimmer der Eltern, heute Appartement 2, damals das einzig beheizbare Schlafzimmer weit und breit. Die Knechte schliefen auf dem Dachboden auf Strohsäcken, heute Maisonette 5, Kleines Appartement 6 und 7 und ein Teil des Appartement 3.

In unserem Jahrhundert kam der langgestreckte Anbau: Im Erdgeschoss (Gewölbebauweise) zusätzliche Ställe für Tiere und Lagerraum, im linken Gewölbe standen zwei Kutschen, rechts der Pferdestall. Das ursprüngliche Niveau erkennen Sie am Überrest der Torschwelle, Treppe in der grande salle rechts. Wir hatten 1992 die Idee, durch Ausbaggern und die somit gewonnene Raumhöhe, dem Raum mehr Wirkung zu verleihen.

Neben der ehemaligen (vom Vorbesitzer verbrochenen) Garage befand sich die Treppe als Zugang zum ersten Stock, den neuen Zimmern für die Knechte. Später wurde nochmals aufgestockt, um trockenen Lagerraum zu erhalten. Erst als der Vorbesitzer heiratete, baute er sich den ersten Stock des Anbaus zur großzügigen  Wohnung um, riss die Außentreppe ab, schuf eine neue Terrasse als Zugang zur Wohnungstür (heute Appartement 2). Da er sich mit allen Nachbarn zerstritten hatte, errichtete er die Garage genau auf dem Weg, den bis dahin alle Leute als direkten Weg vom Dorf zur Cèze benutzten (Die Hunde haben das Durchgangsverbot übrigens bis heute nicht respektiert).

Nachdem sich die Bewohner auf zwei alte Leute reduziert hatten, wurde ihnen schließlich das Anwesen zu groß, sie kauften in der näheren Umgebung einen Fertigbungalow – sagten adieu der Familientradition und den Gewölbekellern – und leben heute inmitten ihrer alten, für die winzigen, modernen Räume viel zu wuchtigen Antiquitäten in einer neuen, anonymen Umgebung (Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, oder?)

Im Sommer 1991 brachen wir auf, um eine Dépendance unseres Lehrinstituts in Deutschland zu gründen. Wir suchten ein Gebäude, das es ermöglichte, Seminare und  Sprachkurse für Erwachsene anzubieten und diese gleichzeitig im Haus unterzubringen. Wir entdeckten das Dorf und “unser“ Haus, wir ließen uns auf ein Abenteuer ein: Zunächst einmal stellte sich bereits wenige Tage nach Abschluss des Vorvertrages heraus, dass das mit der Dépendance nichts würde, da Harald eine feste Anstellung angeboten wurde. Also wurden alle bis dahin geschmiedeten Pläne umgeworfen und neue gemalt. Einzige Möglichkeit, ein so großes Haus sinnvoll zu nutzen, wenn wir tausend Kilometer weit weg leben: Ferienwohnungen.

Mit Heckenscheren legten wir behutsam vergessene Winkel des umwucherten “Dornröschenschlösschens“ frei (so z.B. den Brunnen). Im Herbst wurde der Vertrag dann rechtsgültig und wir stürzten uns in für uns schwindelerregenede Schulden, versuchten, die Fassaden so wenig wie möglich zu verändern, und dennoch von innen her alles umzugestalten und bewohnbar zu machen (es gab z.B. nur eine Toilette außerhalb des Hauses).

Und dann kam die schlimme der Zeit der Zweifel: Wie konnten wir annehmen, dass andere Menschen ebenfalls unsere Liebe zur Landschaft, zum Tal der Cèze teilen würden? Warum sollten sich Gäste ausgerechnet nach St. André de Roquepertuis verlieren, nur weil wir es hier schön finden?

Aber schon die Ostersaison 1992 gab uns recht: Den ersten Gästen (Studenten , Bekannte, die uns halfen, Fensterrahmen, Türen  zu streichen, tapezierten, usw.) gefiel es.

1993 widmeten wir uns dem verwilderten Grundstück und schufen einen direkten Zugang vom Haus aus und terrassierten das Gelände. Seitdem kämpfen wir gegen zu viel und dann wieder zu wenig Wasser, massenhaft Unkraut und Dornengestrüpp, das viele Bemühungen in kurzer Zeit zunichte macht.  ... die Hoffnung, irgendwann  in einem blühenden Garten spazieren zu können, geben wir noch nicht auf.

Der Keller und die “grande Salle“ warten noch auf den letzten Schliff, weil zwischendurch unvorhergesehen ein neues Dach notwendig wurde.

Obwohl alles noch nicht so recht fertig ist, wir langsamer vorankommen, als ursprünglich erträumt, Überschwemmungen und Stürme uns immer wieder zurückgeworfen haben und alles viel Geld kostet ...

.. was zählt: Gäste kommen, viele fühlen sich wohl, einige kommen immer wieder ...  und wir haben neue Freunde gefunden. Vielleicht gerade weil alles nicht so perfekt ist wie anderswo, sondern aufrichtig.

Liebe Gäste machen uns Mut, weiter zu investieren und in der Zukunft unsere Pläne eines Neubaus im dorfangepassten Stil auf dem (bisher noch) naturbelassenen Teil des Grundstücks zu errichten. Hier träumen wir von kleinen Häusern mit einem gemeinsamen Hallenbad, Sauna, Kaminfeuer, damit es auch im Winter so richtig gemütlich wird ...

Aber bis dahin wird noch einige Zeit vergehen, eine schöne Zeit, wie wir hoffen.